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Ehrendes Gedenken der Stadt Detmold für ihren großen Dramatiker. Geschäftsführer Hans Hermann Jansen liest dazu den Essay von Peter Hille aus dem Jahre 1901 zu Christian Dietrich Grabbe aus Anlass seines 100. Geburtstags:

Grabbe

(Geboren am 11. Dezember 1801 zu Detmold, gestorben ebenda am 12. September 1836.)

Noch immer lebt seine Tradition fort in der Teutoburger Stadt. Aber nicht etwa wie in Weimar, der Stadt geistiger Pietät man des Musenhofes gedenkt.

Detmold fühlt anders. Frisch wie vor siebzig Jahren ist noch der Haß und die Abneigung des Philisteriums und der Kleinstadt gegen die schroffe Größe des unseligen Menschen, der hier seine Lebensjahre beschließen mußte vor den Augen seiner hämischen Mitbürger, die sich freuten, den Verwegenen zu quälen, der früh aus ihrem Kreise fortstrebte, der aber bald hilflos wieder unter sie zurückfiel.

Einsamkeit und Trotz, Mangel an Anregung trieb zum Trunk, und der Trunk hetzte immer tiefer in Verbitterung und Zerfall hinein.

Weist man nun die Eingeborenen auf ihre Berühmtheiten hin, auf Grabbe und Freiligrath, da lassen sie allerdings Freiligrath gelten. Grabbe indeß ist ihnen nur ein Schandfleck ihrer guten Stadt, und sie nennen ihn nicht anders als den „verrückten Grabbe“.

Nur im Museum findet er sein Recht, da steht seine Büste neben der Freiligraths, grade wie in der Wehnder Gasse sein Sterbehaus neben dem Geburtshause Freiligraths steht.

Als ich vor fünfzehn Jahren in Detmold den Spuren der beiden Dichter nachging, wohnten in dem einen Hause |2| ein Schuster, im andern ein Schneider.

Herren, die ich nach den nahe neben einander liegenden Grabstätten Grabbes und seiner erst lange nach dem Hinscheiden ihres unglücklichen Sohnes hochbetagt gestorbenen Mutter fragte, wußten keinen Bescheid; ein Schlossergesell, sein Handwerkszeug in der rissigen Hand, gab Auskunft.

Im Museum waren neben einer Gedichthandschrift von Freiligrath besonders merkwürdig jugendlich steife Dank- und Bittbriefe des jungen Menschen an seinen Vater und an seinen Gönner Klostermeier. Die Bittbriefe betrafen Schulklassiker, so Cicero‘s „de officiis“ und „de oratore“, aber auch einige Bände Shakespeare-Übersetzung.

Ergreifend wegen des schönen Wahnes, der sich darin ausspricht, wirkt ein Brief des Vaters an den Berliner Studenten: er soll einen Riesenerfolg mit seinem „Herzog Theodor von Gothland“ gehabt haben und als Dichter am königlichen Schauspielhause angestellt sein mit einigen tausend Talern als Jahresgehalt.

So hatte die Legende den jungen, von Gönnern, aber auch durch die unerhörtesten elterlichen Opfer erwerblich fruchtlos aufgezogenen Geist mit märchenhaftem Glück |3| geschmückt; einem Glück, wie‘s nur die Ferne anzudichten vermag.

Nein, du armer Zuchtmeister Grabbe, dein Christian Dietrich war kein Theaterdichter! Nur einmal ward zu Grabbes Lebzeiten ein Drama von ihm, der „Don Juan und Faust“ auf der elenden Wanderbühne seiner Heimat aufgeführt; er mußte froh sein, daß seine Werke nur gedruckt wurden.

An Honorar irgendwelcher Art gar nicht zu denken! Nur ein bald mißglückender Versuch, mit von Immermann bezahlten Kritiken über dessen Düsseldorfer Bühne sein Leben zu fristen, könnte allenfalls unter litterarischen Erwerb fallen.

Die Sache konnte nicht gehn. Der beamtenmäßige Ordnungssinn (Oberhof) des Apellationsgerichtsrats Immermann und die geniale Unordnung des davongejagten Auditeurs Grabbe vertrugen sich ebensowenig miteinander wie die direktoriale Reizbarkeit des zu Konzessionen an‘s Publikum gezwungenen Auftraggebers und seiner in ihrer Ebenbürtigkeit fortwährend verwundeten, sich zurückgesetzt fühlenden Schreibkraft, die Schund lobend besprechen sollte, wo die eigenen gigantischen Werke des Dichters nicht die mindeste Beachtung fanden.

Kein Wunder, daß sich namenlose Aufregung in Form und Inhalt des Briefes verrät, in dem Grabbe seiner nach ihrem Sohne sich sehnenden Mutter verbietet, zu ihm nach Düsseldorf zu kommen.

Die sonderbarsten Gründe greift er auf:

„Was willst du hier, wo alles katholisch ist, da du doch Katholisches gar nicht ausstehn kannst?“

Die letzte Reliquie stammt aus den letzten Tagen des Dichters. |4| Es sind einige mit Bleistift hingewühlte Dankzeilen an seinen Jugendfreund Justizrat Petri, der ihm zur Spazirfahrt einen Wagen zur Verfügung gestellt hatte.

Da ist nichts mehr darin als äußerster Verfall, nichts mehr von dem Lapidarismus, der seinen Schriftzügen sonst eigen war, „kopfschwere Buchstaben, die ihr Gewicht fühlen“, wie sie Adolf Henze, der frühere Graphologe der „Leipziger Illustrirten Zeitung“ so treffend bezeichnet.

Grabbe (Grabbe, Grab) ist ein Sohn des Winters: in der ersten Hälfte des Dezembers vor nunmehr hundert Jahren geboren, endete er kaum mehr als ein Menschenalter darauf sein gequältes zerrüttetes Dasein.

Es ist möglich, daß das Fieber des Alkohol seinen ungeheuren Werken die Züge in‘s Maßlose verzerrte; es ist möglich, daß das Grinsen einsamen Grimmes noch herber ausfiel unter der tobenden Lethe des Trunkes: das wollen wir nicht vergessen, wir haben es hier mit Werken zu tun, die mitten in ihrer etwaigen Zerrüttung noch gewaltig zu ragen wissen.

Vers und Melodik waren dieser Cyklopenkraft versagt; wollte er gefühlsmäßig wirken, so ward es läppisch, das heitere Märchenartige, fabulirend Phantastische, wie es seinen romantischen Tagen eignete, mit denen er so eigentlich gar nichts gemein hatte, |5| gemein haben konnte, war ihm versagt.

[…]

Große Persönlichkeiten wie Grabbe und Hebbel waren für schneiderheiße Volksbeglückungen niemals recht zu haben.

Um so einen Torso, der vielleicht das Bedeutendste seines Dichters geworden wäre – ich erinnere an Schillers „Demetrius“ – ist es eine unangenehme Sache. Alle Versuche der Vollendung sind vergeblich: es ist wie mit dem Straßburger Uhrmacher, der sein Werk zum Stehen brachte, und keiner kann es wieder in Gang bringen.

Das letzte, das der Dichter schuf, war er oder vielmehr sein Grimm, der die zahllosen Feinde für sein Leben gern erschlagen hätte, und seine Heimat; ein Werk, dem man Kälte und Trockenheit, skeletthafte Magerkeit vorwirft.

Ich kann mir nicht helfen: eine fette „Hermannsschlacht“ kann ich mir schwer denken. |9| Ich finde: dies Verbitterte, zerrissen Verbleichte paßt zum Gegenstande und den heimatnahen Externsteinen.

[…]

Und nun meine ich, man sollte zur Sühne für die Unbill, die der Dichter der Hermannsschlacht in seinem Geburts- und Sterbestädtchen erfuhr und erfährt, da draußen auf der Grotenburg, auf dem Wege zum Hermann die Beiden auch im Leben ineinandergreifenden heimatstarken und auch im Fremden heimatbrennenden Dichter zusammenstellen in zwei Büsten, nahe einander oder einander gegenüber, in einem rüstigfrischen Dreiviertelrund von Fichten oder Eichen.

Hierher gehören Sie zusammen, nicht in die Stadt, die nur Freiligrath, nur den Einen wollte.

Und da die guten Detmolder schwerlich sich für Grabbe in‘s Zeug legen werden, so mögen Westfalen, die auf ihre großen Männer stolz sind, die Angelegenheit zu der ihrigen machen!

Peter Hille.

(Lothar Ehrlich: Peter Hille und Christian Dietrich Grabbe. Grabbe-Jahrbuch 2016. Aisthesis-Verlag. Bielefeld 2017. ISBN 978-3-8498-1203-4)

 

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